Afghanistan

Herr Dr. Erös, Experte für Afghanistan und Gründer der Kinderhilfe Afghanistan, hielt einen Vortrag für unsere Q11.


Der Redner, Reinhard Erös, ehemaliger Oberstarzt der Bundeswehr, hat mehr als dreißig Jahre Erfahrung im Bereich humanitärer Hilfe in Krisen- und Katastrophengebieten. Bei UNO-Missionen und als Mitarbeiter Internationaler Hilfsorganisationen arbeitete er z.B. in Albanien, Afghanistan, Bangladesch, Bosnien, Guinea Bisao, Kambodscha, Indien, Iran, Ost-Timor, Pakistan und Ruanda.
Seit 1987 engagiert er sich vor allem in Afghanistan. Während der sowjetischen Besatzung nahm er für mehrere Jahre von der Bundeswehr unbezahlten Urlaub und lebte mit seiner Frau und ihren vier kleinen Kindern bis Ende 1990 in der afghanisch-pakistanischen Grenzstadt Peschawar. Von dort aus überquerte er heimlich im Schutz der Nacht die Bergpässe nach Afghanistan um dort in von ihm eingerichteten Höhlenkliniken Kranke zu behandeln.
Er gründete 1998 (noch während der Herrschaft der Taliban) die KINDERHILFE AFGHANISTAN und unterstützt seitdem vor allem Kinder und Frauen in Afghanistan mit vielfältigen schulischen und medizinischen Projekten um seinen Beitrag dazu zu leisten, dass Fortschritt und Frieden im Land einkehren können.
Nur mit privaten Spenden baute Erös seit dieser Zeit 29 Schulen auf, Mutter-Kind-Kliniken, Waisenhäuser und Berufsschulen in den besonders gefährdeten Ostprovinzen, weit außerhalb von Kabul. Der Satz des Propheten Mohammed „Die Tinte der Schüler ist wichtiger als das Blut der Märtyrer“ steht nach Erös´ Wunsch über jeder neu gegründeten Schule.
Dr. Reinhard Erös hat die Bücher „Tee mit dem Teufel – als Militärarzt in Afghanistan“ und „Unter Taliban, Warlords und Drogenbaronen – eine deutsche Familie kämpft für Afghanistan“ verfasst. Seit 2002 ist er als politischer Berater der deutschen Regierung und als Ausbilder für die NATO tätig. Er wurde für sein Engagement mit vielen Preisen ausgezeichnet.
Das Besondere an Dr. Erös ist, dass er nicht nur profunde Kenntnisse über das Land, seine Kultur und seine Bewohner hat, sondern durch seine Eigenschaft als Offizier, Mediziner und Politologe seinen ganz eigenen Blick auf das Land.

Kenntnisreich und anschaulich brachte er den Kollegiaten geografische sowie kulturelle Besonderheiten des Landes Afghanistan näher. Es ist ein Land der klimatischen und geografischen Extreme, ein Vielvölkerstaat mit Ethnien unterschiedlichen Aussehens und verschiedener Sprachen, deren gemeinsame Verbindung nur im Islam und bestimmten Bräuchen besteht, wie dem Buzkashi. Das ist der Nationalsport, oft beschrieben als eine Art Rugby zu Pferde, bei dem Angehörige der Teams versuchen, vom Pferd aus einen Ziegenkadaver vom Boden aufzunehmen und an einen bestimmten Punkt zu bringen. Das ist ein sehr hartes und verletzungsträchtiges Unterfangen, bei dem die Spieler sich oft selbst von Knochenbrüchen und Fleischwunden nicht vom Weiterspielen abhalten lassen, was laut Dr. Erös einiges über die typisch afghanische Unbeugsamkeit aussagt.
Dem Arzt ist es wichtig, dass zum Thema Afghanistan ein neues Bewusstsein in der Welt entsteht. Entsprechend kritisierte er die hiesige Berichterstattung, in der oft ein völlig verzerrtes Bild von Afghanistan gezeichnet werde. „Der eigentlich sehr friedliche und bunte afghanische Islam wird überschattet von der fanatischen Sicht des Wahabismus, der seinen Ursprung in Saudi-Arabien hat“, erklärte er. Erst Armut und Gewalt würden für diesen und seine Vertreter, die Taliban, einen Nährboden bieten. Dr. Erös ging in seinem Vortrag noch genauer auf politische und gesellschaftliche Probleme ein und zeigte aus, dass Afghanistan auch nach der langen Besatzungszeit durch europäische und amerikanische Truppen mehr als je zuvor ein Land am Boden sei, zumal auch ein guter Teil des Geldes, das als Aufbauhilfe gedacht gewesen sei, in dunklen Kanälen versickert sei. Die gesundheitliche Versorgung sei schlechter als zuvor und da wolle er ansetzen. Wer helfen will, müsse Land und Leute verstehen und auf Kooperation und Verhandlungen mit den verschiedenen Gruppen setzen.

Alles in allem war es ein Vortrag, der sicherlich an niemandem spurlos vorübergegangen ist und die Zuhörer zum Nachdenken, wenn nicht sogar zu weiteren Diskussionen anregen wird.

A.Hofmann