Fasten einmal anders betrachtet
Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
von den Festen im kirchlichen Jahreskreis ist das Osterfest das älteste und bedeutendste. Dies ist nicht weiter verwunderlich; schließlich ist der Kern der christlichen Botschaft, dass Jesus Christus am dritten Tage von den Toten auferstanden ist. Ebenso wenig verwundert es, dass die Kirche uns in den Wochen vorher dazu aufruft, dass wir uns intensiv auf dieses wichtige Fest vorbereiten.
Zur Fastenzeit gehört seit dem hohen Mittelalter das Anbringen von Hungertüchern. Durch Hungertücher wurde damals – anders als heute – der komplette Chorraum verdeckt. (Das größte erhaltene Hungertuch, das Freiburger Hungertuch, hat die Maße 10 m x 12 m und wiegt fast eine Tonne!) Der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde wurde somit lediglich eine hörende Aufnahme der heiligen Handlungen ermöglicht. Dadurch, dass man den Gläubigen für eine Zeit den Blick auf das Allerheiligste nahm, sollte das körperliche Fasten um ein geistiges ergänzt werden.
In der jüdischen Religion hegt man die Überzeugung, dass eine unverfälschte und besonders lebendige Gottesbeziehung dort gedeiht, wo das Göttliche nicht in die Formen des Sichtbaren eingesperrt wird. Auch wenn wir Christen uns nicht in aller Strenge an das jüdische Bilderverbot halten, so mahnt uns einmal im Jahr dennoch der Verzicht auf den Blick von Altar und Kreuz, dass wir unsere Beziehung zu Gott überdenken sollen.
Häufig ist unser Leben ein Auf und Ab. Wie oft wechseln Freude mit Bedrückung, Zuversicht mit Enttäuschung oder Geborgenheit mit Hilflosigkeit! Das Hungertuch der diesjährigen Misereor-Fastenaktion, das von einem Röntgenbild eines gebrochenen Fußes inspiriert ist, zeigt uns mit bedrängender Deutlichkeit, von wie viel Gewalt unsere Welt noch beherrscht wird.
Während Christus unter den Menschen weilte, haben uns seine Worte und Taten gezeigt, dass Vergebung und Barmherzigkeit den Willen Gottes bestimmen. Wie nah Gott uns aber in Wirklichkeit schon gekommen ist, begreifen wir erst am Ostermorgen: Die Befreiung von den Fesseln des Todes bedeutet die Neuschöpfung der Welt oder, wie Dietrich Bonhoeffer sagt, „Gottes Ja zu uns“.
Aus diesem Grund ist das Kreuz das stärkste Zeichen für Gottes Liebe und Zuwendung zu uns Menschen.
Der gute Hirte, Mosaik im Mausoleum der Kaiserin Galla Placidia, Ravenna, erste Hälfte des 5. Jahrhunderts
Die Teilnehmer am P-Seminar Liturgie wünschen der ganzen Schulfamilie schöne Ferien und ein gesegnetes Osterfest!