Vorbereitung auf das Leben – ein Wunsch Eschenbacher Gymnasiasten
Was sollte man auch als Gymnasiast in der Schule fürs Leben lernen? Welche zusätzlichen lebenspraktische Fächer oder Inhalte wären wünschenswert?
Anlass für die Frage an den gesamten Abiturjahrgang 2015 am Gymnasium Eschenbach war die Aussage einer Schülerin aus Köln: Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.
Mit dieser Aussage hat die Schülerin eine Debatte über Bildung in ganz Deutschland ausgelöst, an der sich auch die Eschenbacher Gymnasiasten beteiligen. Auch wenn viele erkennen, dass diese Stellungnahme überspitzt formuliert ist, können Sie die Kritik nachvollziehen. In fünf Monaten beenden sie mit dem Abiturzeugnis ihre Schulzeit. Schon jetzt fallen ihnen Unterrichtsinhalte ein, die für ihr späteres Leben zusätzlich wichtig wären.
„Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir“ – dieses bekannte Zitat des römischen Philosophen Seneca sehen viele als Anlass, eine konkrete Vorbereitung auf das spätere Leben in der Schule zu verankern. Mit Blick auf ein Studium und den Auszug von zu Hause wird eine praktische Vorbereitung auf die Zukunft gewünscht: Welche Versicherungen brauche ich, worauf muss man beim Abschluss eines Vertrages (Mietvertrag, Arbeitsvertrag) achten?
„Ich würde gerne wissen, wie man eine Steuererklärung ausfüllt“, schreibt eine 17jährige Schülerin. Welche Rechte und Pflichten hat ein 18Jähriger? Auch wenn durch die Seminare in der Oberstufe über Berufe und Studium informiert wird und dies als Hilfestellung für die Berufswahl gesehen wird, wünschen sich die Schüler eine Ausweitung, mehr praktische Unterstützung bei der Berufswahl, bei der Bewerbung, bei Vorstellungsgesprächen, bei Studienfächern und der Einschreibung an Universitäten. „Wir werden nach der Schule ja praktisch ins kalte Wasser geworfen, ziehen für das Studium zu Hause aus und wissen einfach nicht, wie wir das, was auf uns zukommt, alleine bewältigen sollen.“ So vermissen mehrere einen Unterricht, der die Haushaltsführung betrifft, Kochen, das Bedienen von Haushaltsgeräten, das Kalkulieren der Lebenshaltungskosten bis hin zu den Nebenkosten bei einer Wohnung. „Wie viel bleibt mir eigentlich von meinem Verdienst?“ Mit Blick auf die spätere Zukunft denken manche auch an Kindererziehung, Krankheiten, Verhinderung von Burn-out oder eine nachhaltige Lebensführung. „Wir sind in vielen Fächern sehr hoch gebildet, aber wie man kocht und sein Leben finanziert und organisiert, davon haben wir schlicht und einfach keine Ahnung.“ Vor allem diese praktische Seite der Bildung vermissen Gymnasiasten. So werden neben Kochen auch handwerkliche Tätigkeiten, textiles Gestalten oder das Zehn-Finger-Schreiben immer wieder genannt. Die Stärkung der Sozial- und Lebenskompetenz unserer Schüler und Schülerinnen ist ein großes Anliegen des Elternbeirats. Daher nimmt er rege Anteil an der Diskussion und ist bereit, sich aktiv an der Umsetzung eines Projekts zu beteiligen.
Dabei haben die Eschenbacher Schülerinnen und Schüler konkrete Vorschläge an das Kultusministerium zur Umsetzung. So sollte im Fach Geschichte der Schwerpunkt auf aktueller Weltpolitik und derzeitige Geschehnisse gelegt werden. Im Fach Wirtschaft sollte mehr Praxisbezug bestehen, Versicherungsfälle, Bankgeschäfte („Ich bin in vier Monaten 18 Jahre und habe noch nie eine Überweisung getätigt.“), Steuerrecht mit einem direkten Lebensbezug. In einer Stunde evtl. als Wahlfach könnte ab der Mittelstufe alltagsrelevantes Wissen vermitteln. Immer wieder sprechen die Schüler davon, dass sie Unterrichtsstunden, die ihnen lebenspraktisches Alltagswissen vermitteln, gerne freiwillig besuchen würden. Eingeräumt wird: „Schule ist nicht allein verantwortlich für Erziehung und Bildung“, dennoch möchten die Schüler, dass ihnen neben dem Elternhaus auch die Schule unterstützend zur Seite steht.
Der Schulleiter des Gymnasiums, OStD Dr. Knut Thielsen, erkennt in den Vorschlägen seiner Oberstufenschüler eine Reihe von sinnvollen Ansätzen, versteht einen Großteil der Kritik, hält aber nicht jede Forderung für zielführend, berechtigt oder realisierbar. Prägnanter und treffender als in Artikel 131, Abs. 1 der Bayerischen Verfassung ließe sich das Anliegen kaum zusammenfassen: „Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.“ Damit sind die Grundlagen gelegt.
Die oft kritisierte Kultusministerkonferenz hat das bereits im Jahr 2004 für alle Bundesländer so beschlossen, indem sie die vielgeschmähte „Kompetenzorientierung“ des Unterrichts forderte. Es geht um die nachhaltige Verknüpfung von Wissen und Können. Genau das ist auch seit 2004 im Lehrplan des (damals neuen) achtjährigen Gymnasiums verankert: Dort wird dieser Bereich etwas missverständlich „Grundwissen“ genannt (im neuen Lehrplan wird es „Kernkompetenzen“ heißen), das ja gerade nicht nur Wissen umfasst, sondern auch Fähigkeiten, Fertigkeiten oder sogar Haltungen, die noch nach Jahren parat sein sollen. Ein Schelm (und Ignorant), wer dabei nur an endlose Stadt-Land-Fluss-Kataloge, reine Geschichtsdaten, kontextfreie Vokabeln oder die Anatomie des Maikäfers denkt…
Mit anderen Worten: Die Grundlagen sind gelegt, die Umsetzung braucht sicher noch Zeit, aber auch ein Umdenken von der Input-orientierten zur sog. Outcome-based Pädagogik. Als Lehrkräfte (insbesondere der Fächer Wirtschaft und Recht, Deutsch und Sozialkunde) sind wir aufgefordert, das Anliegen der Diskussion dauerhaft ernst zu nehmen, uns noch stärker zu vernetzen und unseren Unterricht immer wieder selbstkritisch daraufhin zu überprüfen.
Freilich kann es im Gymnasium nicht allein um konkrete Gebrauchsanleitungen für alle Eventualitäten des Alltages gehen, sondern ganz im Sinne des „exemplarischen Lernens“ um die Vermittlung des nötigen fachlichen und methodischen Handwerkszeugs. Dazu gehört sicher auch das ständige Wachhalten der Frage nach Handlungsorientierung, Werteerziehung und Alltagsbezug in allen Fächern.
Dr. Thielsen versicherte, er werde sich im Gespräch mit Elternvertretern der Thematik annehmen und den Dialog auch mit den Schülern vorantreiben.
(Isabella Beyer)